Verletztheiten
Jeder von uns ist einzigartig. Jeder von uns durchlebt im Laufe seiner Zeit die unterschiedlichsten Erfahrungen, die ihn letztlich mit zu dem werden lassen, was er ist. Durch die eigenen Erfahrungen, die dabei erlebten Gefühlswelten, die Interaktionen mit anderen wird jeder zu einem Individuum.
Jede einzelne unserer Begegnungen prägt unser Lebensbild, unsere Gefühlswelt…manchmal nur ein bisschen, manchmal sehr massiv. Dadurch ergeben sich Gefühlsmuster und auch entsprechende Reaktionen darauf.
Nur wenn uns das auch immer wieder bewusst wird, wenn wir uns immer wieder daran erinnern, aus wie vielen Erfahrungen und Gefühlsmustern ein Mensch besteht, dann können wir akzeptieren, dass das Verstehen eines anderen immer nur ein Erahnen einer Oberfläche sein kann, die die Tiefe nie erreicht. Durchlebtes, Vergangenes, nicht selbst Erfahrenes kann nur bedingt vermittelt werden, kann nie wirklich ganz vom anderen erfasst werden.
Umso wichtiger ist es deshalb zu beachten, dass jedes „Überstülpen“ eines vermeintlichen Wissens dem anderen gegenüber sehr schnell zu Verletzungen führen kann, zu einer Respektlosigkeit dem Individuum gegenüber.
Den anderen in Liebe verstehen zu wollen bedeutet, alles Erahnen und Vermuten unter dem Aspekt zu betrachten, dass es auch vollkommen anders sein könnte. Ich muss den anderen nicht immer bis ins letzte Detail verstehen, ich kann es einfach nicht.
Die Liebe beginnt dort, wo dieses vorsichtige Erahnen offen bleibt für vieles, wo es nicht festlegt, sondern die Freiheit schenkt, den anderen so zu nehmen, wie er ist. Jetzt. In dem Moment. Mit all seiner Freude und Angst. Mit all seiner Liebe und Trauer.
Es gibt kein Leben ohne Verletzungen.
Es gibt keine Liebe ohne Verzeihen.
Es könnte den Versuch geben, den anderen nicht verstehen zu müssen und trotzdem nicht verletzen zu wollen.
Das wäre ein Anfang.
Der Beginn mutiger Offenherzigkeit.