Alltagsliebe

Die Liebe ist oft vergleichbar mit einem Gummiband. Am Anfang, wenn alles frisch und neu ist, die Schmetterlinge flattern und die Gefühle Tango tanzen, dann liegt ein schönes, starkes Gummiband vor uns. Es darf so sein, wie es ist. Das Stadium des sich Kennenlernens beinhaltet eine große Portion Vertrauensvorschuss, eine Menge Neugierde und viel Abenteuerlust. Jeder zeigt ein bisschen von seinem Ich, geht auf den anderen ein. Gefühle, Eindrücke, Verhaltensweisen, Wünsche werden ausbalanciert. Großzügig wird manches übersehen. Dieser Beginn trägt so viel Kraft, Mut und Geduld in sich. Es ist eine einzigartige Phase der neue Nähe und des wunderbaren Glücks.

Doch so nach und nach kommen Erwartungen an den jeweils anderen dazu. Dieses „den anderen sein lassen“ bekommt erste Lücken, die nach eigenen Wünschen gefüllt werden sollen. Die immer größere Nähe zeigt Dinge auf, mit denen nicht gerechnet wurde. Der andere hat mehr Ecken und Kanten als erwartet. Er trägt ein großes Potential an Sehnsüchten, Wünschen, Ängsten und Sorgen mit sich herum. Der erste Schein des sich Zeigens verwandelt sich in reellere Gefühlswelten. Das Gummiband dehnt sich. Es wird an ihm gezogen. So nach und nach zeigt sich, ob die Liebe die Kraft hat, vieles zu überwinden. Ob sich das Band im Zuge gütigen Verzeihens und respektvollen Verstehens auch wieder entlasten kann, ob sich ein unter Druck stehendes Band auch wieder entlasten darf, um nicht überspannt zu werden.

Manchmal bedarf es nur einer Kleinigkeit, um ein stark gedehntes Band reißen zu lassen. Vieles hat sich aufgestaut, um die Dehnung zu sehr zu belasten.

Zwei Menschen müssen immer wieder gut miteinander kommunizieren lernen. Sie müssen erfahren können, dass ein sich echt Zeigen, sich nackt Zeigen nicht dazu führt, verletzt zu werden. Denn nur wenn ich zeigen darf, wie meine Gefühle wirklich sind, warum sie entstehen und auf diese Weise gespürt werden, kann der andere mich verstehen lernen. Jeder Mensch empfindet eine große Sehnsucht danach, geliebt zu werden und hat eine große Angst vor Verletzungen, die im Laufe des Lebens zwangsläufig geschehen.

Einem Gegenüber die Sicherheit zu schenken, bei mir „echt“ und ohne Masken sein zu dürfen, ist das größte Geschenk an ihn. Es mag nicht immer leicht sein, den anderen wirklich zu verstehen, das muss auch nicht sein. Vieles kann man so oder so nicht nachvollziehen, weil wichtige Lebenserfahrungen und –erlebnisse des anderen fehlen. Aber aus einem Gefühl der wahren Liebe zueinander kann falscher Stolz überwunden werden und ein wieder gemeinsames, ehrliches Beginnen forciert werden.

Oft recht schnell kann ein Gummiband überdehnt werden und reißen. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Beziehung vor ihren eigenen Trümmern steht und nur ein „Aus“ die geeignete Lösung bietet. Es kann vorerst einfacher erscheinen, die Trümmer zu sehen und zu sagen, es sei zu spät, zu viel passiert. Sehr gerne folgen in dieser Phase auch Schuldzuweisungen. „Der Verursacher“ soll gefunden und als solcher klassifiziert werden. Es dabei zu belassen, wäre allerdings zu einfach. Beide haben an dem Projekt Liebe mitgearbeitet. Beide Fehler gemacht. Viel Gemeinsames, Lebens- und Liebenswertes wurde erfahren, viel Hoffnung und Offenheit in einen Beginn gesteckt.

Es mag unmöglich erscheinen, all die Trümmer wieder zusammen zu suchen und ein neues Beziehungshaus daraus wieder aufzubauen. Wenn beide das wollen, lohnt es sich aber wirklich. Denn dann muss jeder genau ansehen, „was in Trümmern liegt“, was zum Zusammenbruch geführt hat. Und dann können beide Stein für Stein wieder richtig aufeinanderlegen, wenn sie es beide wollen. Dieser Akt des Bewusstseins, Bewusstwerdens kann ein starkes, neues Fundament schaffen. Oder es ist der Ausgangspunkt, den anderen in Liebe eigene Wege gehen zu lassen, vieles loszulassen. Trotzdem gemeinsam weiterzugehen, kann der Liebe eine besondere Form der gegenseitigen Achtsamkeit und Dankbarkeit schenken, die die Nähe zum anderen verstärkt, die Liebe noch außergewöhnlicher macht.

So oder so zeigt sich in der Liebe, dass alles möglich ist…Der Alltag der Liebe muss lebbar sein. Ich muss wissen, wer ich bin und was ich möchte. Der andere ebenso. Gemeinsam muss ein Haus aus Rücksicht, Toleranz, Geduld, Respekt und Achtsamkeit gebaut und mit viel Liebe zusammengefügt werden. Jeder muss seinen Beitrag dazu leisten, das Haus instand zu halten, durch seine Kreativität ein entspanntes, harmonisches, einzigartiges Miteinander möglich machen.

LIEBE IST DAS SCHÖNSTE, SPANNENDSTE UND AUFWÄNDIGSTE PROJEKT UNSERES LEBENS. ES LOHNT SICH, SEIN GANZES HERZ HINEIN ZU LEGEN, IMMER WIEDER AUFEINANDER ZUZUGEHEN…

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